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Historie

Das Geheimnis der McLaren-Lenkbremse 1997: "Billigste Sekunde aller Zeiten"

Teilweise geben Formel-1-Teams Millionen für technische Entwicklungen aus, doch beim McLaren-Aufstieg Ende der 1990er-Jahre setzte man auf eine der wohl effizientesten Innovationen der Historie: die Lenkbremse.

Mika Hakkinen, McLaren MP4/12

Foto: : LAT Images

"Dieses System hat eine Sekunde pro Runde gebracht. Und es war wahrscheinlich die billigste Sekunde aller Zeiten", erzählt der heutige Williams-Technikchef Paddy Lowe, der vor seiner Zeit als Mercedes-Technikverantwortlicher bei McLaren gearbeitet hat, im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'.

Das System wurde 1997 erstmals eingesetzt, aber nach heftigem Druck durch Ferrari bereits beim zweiten Saisonrennen 1998 in Interlagos verboten. Argument: Die Entwicklung der Lenkbremse würde in der der Formel 1 für eine Kostenexplosion sorgen. "Ferrari bemühte sich im Fahrerlager um Unterstützung für ihre Petition, die Technologie zu verbieten", erinnert sich Lowe.

"Alle glaubten, dass es sich um eine Hightech-Entwicklung handelt, die Millionen verschlingen würde. Was sie aber nicht wussten, ist, dass sie es wahrscheinlich mit ihren Ersatzteilen im Truck nachbauen hätten können. Alles, was man dazu benötigte, war ein Bremszylinder, ein zweites Pedal und ein Schlauch. Die erste Version hatte nicht einmal ein Ventil."

Lenkbremse eigentlich für Panzer entwickelt

Wie das simple, aber geniale System funktionierte? Mit einem zusätzlichen Bremspedal konnte der Fahrer entweder die linke oder die rechte Hinterbremse aktivieren, um den Boliden zusätzlich zu den Lenkradbewegungen in eine Richtung zu steuern.

"Soweit ich weiß, wurde das System ursprünglich für andere Fahrzeuge erfunden - wie zum Beispiel für Panzer", offenbart Lowe. "In die Formel 1 hat es aber Steve Nichols gebracht. Es war seine Idee, aber ich und Aufhängungsexperte Chris Cooney, der jetzt bei Renault arbeitet, haben es umgesetzt."

Steve Nichols Genieblitz in der Badewanne

Die zündende Idee kam Nichols, als er sich 1996 zu Weihnachten im Haus der Eltern von den Strapazen der Saison erholte. "Ich lag in der Badewanne", verrät der damalige technische Berater des McLaren-Teams, das eben erst Aerodynamikguru Adrian Newey verpflichtet hatte. "Das Set-up der damaligen Autos sorgte für ziemliches Untersteuern, denn wir hatten ziemlich schmale Hinterreifen, aber große Vorderreifen. Ich hatte also die Idee, dass eine zusätzliche Hinterbremse in den Kurven aktiviert wird, um das Untersteuern zu beheben."

Der US-Amerikaner gab die Idee an den damaligen Forschungs- und Entwicklungschef Lowe weiter, der entschied, den Gedanken weiter zu verfolgen. Bis zum ersten Test verging aber viel Zeit: "Das Projekt lag monatelang im Testtruck, aber irgendwann hatten wir bereits alle anderen Testobjekte ausprobiert. Bei einem Test in Silverstone sagten wir um fünf Uhr abends: Schauen wir uns doch noch diese Bremsgeschichte an."

Coulthard wehrt sich gegen ersten Test

Es handelte sich um den Dreitages-Test in Großbritannien Ende Mai, bei dem Häkkinen für die Feuertaufe der Lenkbremse sorgte. "Eigentlich habe ich bei diesem System speziell an David Coulthard gedacht", gibt Nichols zu. "Er hat immer gesagt, dass er kein Übersteuern mag. Wenn er das Auto also stark untersteuernd abstimmt, könnte er das dann mit dieser Bremse ausgleichen. Aber er weigerte sich, das System zu testen, weil er es für verrückt hielt."

Also kam Häkkinen zum Zug. "Er war sehr offen für solche Dinge, probierte es aus und war in seiner ersten Runde um eine halbe Sekunde schneller, was ein deutlicher Unterschied war", sagt Nichols. "Es hat fantastisch funktioniert. Ich habe den Druck im Bremszylinder absichtlich so eingestellt, dass er das Bremspedal sehr hart betätigen musste, weil ich nicht wollte, dass er das Pedal berührt und sich plötzlich dreht."

Häkkinen war auf Anhieb begeistert, wodurch auch Coulthard plötzlich hellhörig wurde. Doch der Schotte stellte die McLaren-Ingenieure vor ein weiteres Problem: Im Gegensatz zu seinem finnischen Teamkollegen hatte er sich noch immer nicht daran gewöhnt, mit dem linken Fuß zu bremsen und nutzte ein herkömmliches Kupplungspedal. Also musste man für ein viertes Pedal im Fußraum Platz finden.

Erstversion funktionierte nur auf einer Seite

Zur Rennpremiere der Lenkbremse kam es beim Grand Prix von Kanada 1997. In der Erstversion war es allerdings nur möglich, das System entweder links oder rechts einzusetzen. Auf Basis der Streckencharakteristik musste man also im Vorfeld festlegen, auf welcher Seite der Vorteil größer sei. Die Piloten aktivierten das zusätzliche Bremspedal meist in der Kurvenmitte beim Herausbeschleunigen, teilweise wurden sogar beide Bremspedale gleichzeitig drückten. Multitasking war also angesagt, aber Häkkinen und Coulthard gewöhnten sich rasch und wurden im Umgang mit der innovativen Neuentwicklung immer besser.

Selbst Coulthard wurde zum Fan. "Das war eine brillante Entwicklung", sagt er noch heute. "Wir mussten zwar lernen, damit umzugehen, weil wir beim Bremsen beschleunigen mussten, sonst hätte das Rad blockiert, aber man spürte, dass es ein Vorteil war, weil das Auto leichter um die Ecke ging."

Glühende Bremsen beim Beschleunigen: Wie der Trick aufflog

Als McLaren in der zweiten Saisonhälfte plötzlich konstant im absoluten Spitzenfeld rangierte, wurden auch die Konkurrenz und die Journalisten neugierig. Beim Österreich-Grand-Prix in Spielberg, bei dem Häkkinen seinen MP4/12 in die erste Startreihe stellte, schoss Fotograf Darren Heath ein Foto des Boliden in der Beschleunigungsphase. "Er hat sich gewundert, warum die hinteren Bremsscheiben an einer gewissen Stelle glühen, an der sie nicht glühen sollten", erinnert sich Lowe.

 

Fotograf Heath entwickelte tatsächlich die Theorie, dass McLaren ein zusätzliches Bremspedal benutzte. Also nutzte er die nächste Gelegenheit auf dem Nürburgring, als beide Silberpfeile in Führung liegend mit Motorschaden ausschieden, um ein Pedalfoto von Häkkinens am Streckenrand abgestellten Auto zu schießen. Sein Verdacht wurde bestätigt und in der nächsten Ausgabe des Magazins "F1 Racing" enthüllt.


McLaren wähnte sich aber auf der sicheren Seite, denn beim System handelte es sich um kein elektronisches Hilfsmittel. Für die Saison 1998 entwickelte man es sogar weiter und baute einen Schalter ein, mit dem der Fahrer einstellen konnte, ob die linke oder die rechte Hinterbremse betätigt wurde. Eine Ablenkung beim Fahren, die die McLaren-Piloten ohne Widerstand auf sich nahmen.

Wie das System verboten wurde

"Rennfahrer würden sogar die russische Hymne rückwärts singen, während sie mit Granaten jonglieren, wenn es ihnen eine Zehntelsekunde bringt", grinst Coulthard. Doch zum Leidwesen von McLaren ging es der Lenkbremse dann doch an den Kragen: Obwohl das Konzept dermaßen simpel war, fanden Ferrari & Co. keinen Weg, es zum Funktionieren zu bringen. Also machte man Stimmung dagegen und behauptete, McLaren würde eine Art Vierradlenkung benutzen.

Auf Basis dessen und mit dem Argument, die Technologie würde Millionen verschlingen, wurde die Lenkbremse schließlich nach dem McLaren-Doppelerfolg beim Saisonstart in Australien von der FIA für illegal erklärt. Dabei kosteten die Teile für das System gerade mal 50 Pfund, also umgerechnet 57 Euro.

Dennoch akzeptierte McLaren die Entscheidung der Regelhüter und baute das System vor dem Brasilien-Wochenende aus. Da man es intern "Lenkbremse" genannt hatte, war es schwierig zu argumentieren, dass es sich um keine Vierradlenkung handelte. Das System war damit Geschichte, die McLaren-Erfolge allerdings nicht: Die Truppe aus Woking holte 1998 beide WM-Titel.

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