Hamilton-Pole gibt Rätsel auf: Woher kam die Wunderrunde?
Niedrigere Temperaturen in Suzuka sind ein Grund für Mercedes' Aufschwung, aber wohl nicht der einzige.
Lewis Hamilton, Mercedes AMG F1 W08
Steve Etherington / Motorsport Images
So lange wie auf diese Pole-Position hat Lewis Hamilton in seiner Karriere auf keinen ersten Startplatz warten müssen: Das Zeittraining zum Japan-Grand-Prix am Samstag bescherte dem Spitzenreiter der Formel-1-Saison 2017 nach zehn Jahren seine erste Qualifying-Bestzeit in Suzuka. Noch wichtiger: Die Mercedes-Mannschaft scheint jüngste Abstimmungsprobleme in den Griff bekommen zu haben – oder war es das Glück, dass die niedrigeren Außentemperaturen (26 Grad Celsius) Silber in die Karten spielten?
Ergebnis: Qualifying in Suzuka
Einem euphorischen Hamilton war es kurz nach dem Qualifying gleich: "Die Runde war sehr, sehr genau auf den Punkt getroffen", sagt er über seinen neuen Streckenrekord in 1:27.319 Minuten, mit dem er Michael Schumachers alten Bestwert von 2006 um 1,635 Sekunden pulverisierte. Dazu brummte er Valtteri Bottas und Sebastian Vettel auf den Plätzen 0,332 respektive 0,472 Sekunden Rückstand auf. "Dieses Auto haut dich aus den Socken. Mit jedem Versuch wurde es besser und besser", meint Hamilton. Dabei war die Galaform des Silberpfeils nach den Problemen vor einer Woche in Malaysia alles andere als absehbar.
Temperatur spielt Mercedes in die Karten
Hamilton, der am Freitag hinter Sebastian Vettels zurückgeblieben war und erst im dritten Training am Samstagvormittag aufdrehte, stellt fest: "Es war ganz anders und ließ sich viel angenehmer fahren." Sportchef Toto Wolff ahnt, warum der W08 zahm geworden ist: "Das unterschiedliche Streckenprofil", vergleicht er Suzuka mit Sepang. "Den Reifen im Fenster zu haben, bedeutet viel Grip. Wenn du ihn aber nicht im Fenster hast, sondern ihn überhitzt, ist gleich eine Sekunde weg."
Mercedes' Team-Aufsichtsrat Niki Lauda hat die Außentemperaturen als entscheidenden Faktor ausgemacht. "Wenn es kühl ist, tun sich die Reifen an unserem Auto wesentlich leichter", analysiert er. Das ist seit geraumer Zeit bekannt und nicht der einzige Grund für die Formschwankungen, aber ein gewichtiger: Im Qualifying von Spa-Francorchamps war Hamilton bei 24 Grad klar vor Vettel, in Singapur bei 28 Grad weit zurück und in Sepang bei 30 Grad hauchdünn vor Kimi Räikkönen.
Ein Rätsel, dessen sich die Ingenieure in Brackley angenommen haben. "Die Leute in der Fabrik haben Tag und Nacht gearbeitet, von Montag an, um gewisse Dinge herauszufinden. Ein paar Sachen, die man entdeckt hat, wurden heute schon ausprobiert. Wie man sieht, geht es in die richtige Richtung", erklärt Lauda die Fortschritte, die auch auf wärmere Bedingungen abzielen. Zu häufig droht im restlichen Saisonverlauf noch Hitze, zum Beispiel in Mexiko oder in Abu Dhabi.
Hamilton: Noch ist nichts gewonnen
"Wir haben noch nicht alle Antworten, aber die ersten zwei oder drei richtig verstanden", so Lauda, der "alle kleinen Puzzleteile finden" will. Hamilton weiß, dass die Probleme nicht abschließend gelöst sind und deutet an, dass die Gründe intern bereits bekannt wären: "Es ist nichts, was wir so schnell ändern könnten." Er spricht von starken Qualifyings seines Autos, aber "einem Schritt zurück im Rennen", den er auch für Sonntag erwartet. "Wir scheinen immer einen Tick schneller zu sein, während Ferrari das Gegenteil passiert. Es scheint an der Philosophie des Autos zu liegen."
Gut für ihn, dass es für Vettel selbst mit einem schnelleren Auto knifflig wird, in Suzuka zu siegen. "Hier ist es schwierig zu überholen, wenn nicht unmöglich", unterstreicht Hamilton den Wert seiner Pole-Position, zumal er in Führung liegend in der Lage wäre, die Strategie zu diktieren. Sofern der Start gelingt: "Ich muss die acht Meter Vorsprung, die ich habe, halten", weiß der 32-Jährige, ist aber zuversichtlich und fordert: "Unsere Starts waren 2017 immer stark, so muss es weitergehen."
Der Mercedes schien in den Trainings auf Soft-Reifen weniger Probleme zu haben als auf Supersoft-Pneus, die Hamilton am Start montiert haben wird, was ein frühes Duell mit Vettel wahrscheinlich macht. "Sebastian und ich sind in perfekter Position, um es auf der Strecke auszutragen. Ich wollte es nicht anders", reibt er sich die Hände und hofft, dass sich die Diva W08 von der Schokoladenseite präsentiert: "Hoffentlich ist sie nicht dickköpfig." Lauda scheint indes auf ein Rad-an-Rad-Duell verzichten zu können: "Ich hoffe, dass Lewis den besten Start macht. Dann: auf Wiedersehen!"
Wolff warnt: Ferrari im Longrun schneller
Pessimistischer geht Wolff die Sache an. Er weiß, dass es am Sonntag vier Grad wärmer werden soll und der Mercedes mit Sprit im Tank oft Probleme hatte: "Die Longruns sind wieder ein ganz anderes Thema", sagt er und bläst er die Backen auf. "Sie waren schlecht bei uns, weil es um das Überhitzen geht."
Hamilton-Teamkollege Valtteri Bottas, der nach Getriebewechsel und dem zweiten Platz im Qualifying von Position sechs ins Rennen gehen wird, muss ebenfalls bangen. Der Finne, der sein Auto in Q1 fast in die Mauer geworfen hätte und im Abschlusstraining in die Leitplanke eingeschlagen war, atmet aber wegen seines guten Set-ups auf. "Alles ist glatt gelaufen. Das hat es mir erlaubt, mich auf das Fahren zu konzentrieren. Ich habe mich fahrerisch im Laufe des Zeittrainings wirklich verbessert." Lauda lobt den formschwachen Bottas als "fantastisch". Dessen Trumpf: Er startet das Rennen auf der Soft-Mischung und könnte mit einem langen ersten Stint weit nach vorne kommen.
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