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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Das Wort zum (Renn-)Sonntag: Chefredakteur Christian Nimmervoll erklärt, warum das FIA-Urteil zu spät kam und wie hochspannend der Abend im Paddock war

Dutch Max Verstappen fans storm the track to celebrate the victory of Max Verstappen, Red Bull Racing

Dutch Max Verstappen fans storm the track to celebrate the victory of Max Verstappen, Red Bull Racing

Glenn Dunbar / Motorsport Images

Liebe Leserinnen und Leser,

letzte Nacht, und das ist schade, haben wahrscheinlich tausende von Ihnen schlecht geschlafen. Weil sie noch nicht mit Sicherheit wussten, wer den Grand Prix von Österreich gewonnen hatte. Drei Stunden nach Rennende gab es im Fall Max Verstappen gegen Charles Leclerc noch kein Urteil von den FIA-Kommissaren. Und das ist schlecht für den Sport.

Zunächst einmal sei festgehalten: Wir als Medienunternehmen müssten uns für solche Tage eigentlich bedanken. Es ist für uns wie Weihnachten und Ostern zusammen, wenn das Fernsehen längst ausgestiegen ist, aber der Sieger noch nicht feststeht. Denn dann versuchen zehntausende ratlose RTL- und Sky-Zuschauer, sich im Internet ihre Infos zu besorgen. Und landen mehrheitlich bei uns, beim Marktführer.

Aber mir geht es nicht primär um unsere Reichweiten, sondern um das Wohl der Formel 1. Und da sind Hängepartien wie am Sonntagabend in Spielberg eigentlich unzumutbar für die Fans.

Denn nicht alle sitzen gemütlich zu Hause vor dem Computer und hängen gespannt am Ticker "Paddock live" mit Stefan Ehlen, wo Sie binnen Sekunden nach der Veröffentlichung des Urteils wissen, was los ist. Oder haben in unseren mobilen Apps für das Smartphone die automatischen Push-Benachrichtigungen aktiviert, um keine wichtigen Entscheidungen zu verpassen.

Zehntausende Holländer machten um 19:46 Uhr in Spielberg, als die "kriegsentscheidenden" Dokumente 46 und 47 der FIA veröffentlicht wurden, längst die Nacht zum Tag. Mit ordentlich Bier im Tank.

Man stelle sich vor, die FIA hätte Verstappen tatsächlich den Sieg weggenommen. Der Kater der "Oranjes" am nächsten Morgen, beim ersten Blick aufs Smartphone, wäre noch schlimmer gewesen.

 

Bei Urteilsverkündung: Mateschitz nicht mehr am Ring

Selbst Red-Bull-Granden wie Dietrich Mateschitz und Helmut Marko waren schon gar nicht mehr an der Strecke, als das Urteil bekannt wurde. Die Aufgabe, das Rennen uns Medienvertretern zu erklären, wurde Christian Horner überlassen. Aber die Energy-Station (seit 2019 übrigens ein Holzhaus) war so oder so Dreh- und Angelpunkt der Wartezeit auf das Urteil.

Zunächst begann um 18:00 Uhr die Anhörung der beiden Streithähne vor den FIA-Kommissaren. Leclerc kam mit Laurent Mekies, Verstappen mit Jonathan Wheatley. Um 18:32 war der Spuk vorbei und sie verließen den Race-Control-Room - umringt von einer Traube Kamerateams, aber ohne ein Wort über das Hearing zu sagen.

Von da an wurde es dann vor der Energy-Station spannend. Bereits zuvor war dort Toto Wolff einmarschiert und schnurstracks in den oberen Stock gegangen. Seine Assistentin ließ er unten sitzen. Was er dort tat? "Herrn Mateschitz zum Sieg gratulieren. Das gehört sich so", sagte er auf dem Weg aus dem Paddock mit einem Grinsen im Gesicht. Wolffs Gratulation dauerte eine halbe Stunde.

Spannend war dieses Meeting insofern, als Wolff und Mateschitz, das weiß man, sich eigentlich nicht leiden können. Mateschitz hat dem Mercedes-Manager nie verziehen, dass er das Red Bull mal abschätzig als "Brausehersteller" bezeichnet hat und damit suggerierte - ob bewusst oder nicht, weiß nur Wolff selbst -, das Team sei nur ein kleiner Fisch im Becken der großen Automobilhersteller.

Es wäre eine wichtige Entwicklung in den Machtverhältnissen der Formel 1, wenn sich zwischen Wolff und Mateschitz nun so etwas wie eine Achse bilden sollte. Vielleicht auch, weil es den bisherigen informellen Kanal zwischen Helmut Marko und Niki Lauda nicht mehr gibt.

Zumal Red-Bull-Mitarbeiter am Sonntagabend felsenfest davon überzeugt waren: Wenn dem Team dieser Sieg nach diesem Volksfest weggenommen wird, ausgerechnet in Mateschitz' Heimat, dann zieht der Chef den Stöpsel und pfeift auf die Formel 1.

Ein Szenario, das zum Glück abgewendet werden konnte.

 

Spielberg 2019: Ein Volksfest für die Formel 1!

Was unterm Strich stehen bleibt, ist einer der geilsten Grands Prix der jüngeren Formel-1-Geschichte, mit einem elektrisierenden Duell der beiden Fahrer, die die nächsten Jahre prägen werden, und einer sensationellen Stimmung, wie es sie weltweit nur auf dem Red-Bull-Ring gibt.

Chapeau, Dietrich Mateschitz - so gut wie Red Bull kann sonst keiner Formel-1-Rennen organisieren!

Mateschitz selbst wirkte beim Rausgehen aus dem Paddock, das war gegen 19:10 Uhr, übrigens gelassen. Vor einer TV-Kamera kamen ihm zwei, drei Worte über die Lippen, was sonst nie der Fall ist. Und unter dem linken Arm hatte er Verstappens Siegerhelm, ein Geschenk für den "Oberbullen". Für Mateschitz stand der Sieger fest. Auch ohne depperten FIA-Zettel.

Dass es die spät veröffentlichte Entscheidung bei vielen Sendern nicht mehr in die Abendnachrichten geschafft hat, ist aus Sicht der Formel 1 insgesamt ärgerlich. Oder dass die Kollegen von den gedruckten Zeitungen (ja, sowas gibt's noch) mit ihren Redaktionsschlüssen arg in Bedrängnis kamen.

Man stelle sich vor: Die FIA erklärt Leclerc zum Sieger, und Verstappen lächelt mit dem Pokal auf der Bild-Titelseite. Sowas kann durch so späte Entscheidungen durchaus passieren.

Meine Funktion als Kolumnist ist in erster Linie, Bewusstsein für Missstände zu schaffen. Wann immer möglich, versuche ich auch Lösungen anzubieten. In diesem konkreten Fall habe ich keine.

Ich verstehe, warum es so lange gedauert hat, und kann es nachvollziehen. In diesem System gab es gar keine andere Alternative. Aber vielleicht muss man dann komplett umdenken und das System neu erfinden.

 

Grid-Strafen: Bitte, liebe FIA, endlich abschaffen!

Bei manchen Dingen geht das leichter als bei anderen. Nehmen wir zum Beispiel die Motorenstrafen. Die Fans vor Ort in Spielberg tanzten schon leicht angeheitert in die Nacht hinein, als am Samstagabend endlich feststand, dass Lewis Hamilton Vierter und nicht Fünfter oder Zweiter der Startaufstellung sein würde. Dabei wäre die Antwort so simpel.

Die Grid-Strafen sind seit Jahren ein Lästikum, das keiner versteht. Noch Stunden nach der Veröffentlichung der provisorischen Startaufstellung der FIA liefen im Medienzentrum dutzende Journalisten herum, die keinen Dunst davon hatten, wie der neue Grid zustande gekommen war. Wenn die es nicht verstehen, wie sollen es dann die Fans verstehen?

Simple Antworten sind immer die besten, also: Gibt es einen technischen Regelverstoß wie einen Motorwechsel, dann Punkteabzug in der Konstrukteurs-WM. Der Fahrer kann schließlich nichts dafür, wenn ein Kolben verreibt. Gibt es hingegen einen Regelverstoß des Fahrers, etwa Blockieren eines anderen Autos im Qualifying, dann zieht man halt dem Übeltäter in der Fahrer-WM Punkte ab.

Zugegeben: Das kann dazu führen, dass ein Team wie Williams ein negatives Punktekonto hätte. So what? Welchen Fan interessiert, ob da ein 0 oder ein -3 neben dem Teamnamen steht? Jeder weiß, dass Williams Letzter ist. Alles andere ist den Fans, die im Bierzelt durch die Nacht feiern wollen, scheißegal.

Aber am nächsten Morgen aufzuwachen und nicht zu wissen, warum Hamilton plötzlich Vierter in der Startaufstellung ist, obwohl er das Qualifying als Zweiter beendet und eine Plus-Drei-Strafe erhalten hat (2+3=4???), das versteht doch kein Mensch!

 

Warum eine Strafe nicht ungerechtfertigt gewesen wäre

Gestatten Sie mir noch einen abschließenden Gedankenstrang: Legt man die Strafen der vergangenen paar Rennen, etwa Vettel-Hamilton in Kanada oder Ricciardo-Norris-Räikkönen in Frankreich als Maßstab an, dann hätte man in Österreich auch Verstappen bestrafen müssen.

Es ist gut, dass das nicht passiert ist! Aber man hätte den Kommissaren keinen Strick daraus drehen können.

Ich glaube nicht an die Verschwörungstheorie, dass FIA-Präsident Jean Todt oder Formel-1-Boss Chase Carey bei den Kommissaren angerufen und ihnen nahegelegt haben, keine Strafe auszusprechen. Ich glaube aber schon, dass der gesunde Menschenverstand gesiegt hat. Sowohl bei den Kommissaren, die nicht gestraft haben, als auch bei Ferrari-Teamchef Mattia Binotto, der keinen Protest einlegen wird.

Man stelle sich vor, was los gewesen wäre, hätte man Verstappen diesen Sieg weggenommen. Erstmal hätten zehntausende leicht angetrunkene Holländer womöglich die Campingplätze zerlegt. Ob sie dann noch Lust drauf haben, die nächsten Jahre quer durch Europa zu reisen und ihr Geld bei der Formel 1 zu lassen? Fraglich.

Und wenn man Mateschitz sein Volksfest versaut, kann es gut sein, dass er sagt, ab 2021 bitte ohne uns. Auch ohne Österreich-Grand-Prix. Das wäre ein Riesenverlust. Mateschitz seine Lust auf die Formel 1 nicht zu nehmen, ist nicht nur im Interesse des Sports. Sondern auch im Interesse von Ferrari, Mercedes & Co.

Und dann ist da noch etwas, was man heute erwähnen sollte: Österreich 2019 war ein Grand Prix im Andenken an Niki Lauda. Lauda war einer von denen, die sich mit am stärksten für das Credo "Let them race!" eingesetzt haben. Es hätte ihm nicht gefallen, wäre das Rennen am grünen Tisch statt auf der Strecke entschieden worden.

Vielleicht hat er ja von da oben den Kommissaren geflüstert, was die beste Entscheidung ist ...

Christian Nimmervoll

P.S.: "Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat" fand jahrelang jeden Montag auf unseren Portalen Formel1.de und Motorsport-Total.com statt. 2019 ist sie umgezogen zu de.motorsport.com. Auf unseren Schwesterportalen erfahren Sie stattdessen, "Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat".

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