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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: die Formel 1

Warum die WM-Entscheidung in Suzuka aus Formel-1-Sicht eine bittere war und wir alle froh sein können, dass es kein zweites 2014 gab

Max Verstappen, Red Bull Racing, 1st position, talks with Charles Leclerc, Ferrari, 3rd position, in Parc Ferme

Max Verstappen, Red Bull Racing, 1st position, talks with Charles Leclerc, Ferrari, 3rd position, in Parc Ferme

Sam Bloxham / Motorsport Images

Liebe Leser,

der Japan-Grand-Prix hat uns mit dem Weltmeistertitel von Max Verstappen das Höchste aller Hochs, das in unserem Sport möglich ist, beschert - aber gleichzeitig auch viele Tiefs.

Während der langen Regenunterbrechung war mir eigentlich klar, dass ich ungeachtet des Ausgangs die Rennleitung und stellvertretend Eduardo Freitas schlecht schlafen lassen werde. Einzig und allein der Szene rund um Pierre Gasly geschuldet. Doch dazu später mehr.

Denn die Formel 1 hat es geschafft, dass sie sich später noch auf höherer Ebene blamiert hat. Denn am Ende stand die Verwirrung rund um Max Verstappens Titel ganz oben in den Zeitungen (beziehungsweise deren Online-Ableger am Sonntag). Der Traktor-Vorfall rund um Gasly musste da ein wenig nach unten rutschen.

Doch kann eine seelenlose Serie überhaupt schlafen und dann auch noch schlecht? Sinnbildlich gesehen kann sie das - und Chefredakteur Christian Nimmervoll, der ja sonst diese Kolumne macht und immer eine echte Person als Schlechtschläfer haben möchte, weilt aktuell im Urlaub und kann mir daher sowieso nicht auf die Finger klopfen. Tja.

Was die Formel 1 am Sonntag für ein Bild abgegeben hat, war kein gutes. Eigentlich sollte es ein Feiertag werden, an dem Max Verstappen seinen zweiten WM-Titel holen könnte. Hat er auch, doch die Umstände waren wenig feierlich.

Max Verstappen, Red Bull Racing, 1st position, celebrates World Championship victory with his team

Max Verstappen, Red Bull Racing, 1st position, celebrates World Championship victory with his team

Foto: Andy Hone / Motorsport Images

Wie der Niederländer sicherlich nicht Weltmeister werden wollte: Durch die nachträgliche Bestrafung eines Konkurrenten und einer vollkommen unklaren Sachlage. Denn als Verstappen durch die (nachvollziehbare) Bestrafung von Charles Leclerc in Suzuka rechnerisch Weltmeister war, herrschte erst einmal große Verwirrung.

Titel ja oder nein?

Wir in der Redaktion und auch ganz viele in unserem globalen Team haben uns erst einmal verwundert angeschaut und waren uns sicher, dass Johnny Herbert gerade einen Fehler macht, als er Max zum WM-Titel gratuliert hat. Und auch als die Formel 1 selbst ihr Gratulationsvideo abgespielt hat, war es uns innerlich schon unangenehm, wie die Formel 1 das dann wieder zurücknehmen muss.

Die große Fangemeinde auf Twitter war sich da ebenfalls sicher. Doch am Ende lagen wir alle falsch. Max Verstappen war tatsächlich Weltmeister. Ein Weltmeister aufgrund einer Formulierung im Regelwerk, die keiner auf dem Schirm hatte.

Die ganze Welt hat vor dem Fernseher mitgerechnet, bis zu welcher Distanz das Rennen gehen muss, damit wie viele Punkte vergeben werden, und welche Szenarien eintreten müssen. In unserem Redaktionschat gab es auch die Frage: "Also, wenn Perez jetzt noch an Leclerc vorbeigeht, Max sich die schnellste Rennrunde holt und wir noch drei Runden schaffen, dann ist er Weltmeister, oder?"

Max Verstappen, Red Bull Racing RB18, battles with Charles Leclerc, Ferrari F1-75, for the lead at the start

Max Verstappen, Red Bull Racing RB18, battles with Charles Leclerc, Ferrari F1-75, for the lead at the start

Foto: Steve Etherington / Motorsport Images

Die ganze Rechnerei ist mittlerweile kompliziert, doch am Ende war sie eigentlich komplett obsolet.

Jeder logisch denkende Mensch würde sagen: Okay, die Regel ist eindeutig. Fahren wir bis 25 Prozent gibt es wenig Punkte, bis 50 Prozent mehr, bis 75 Prozent noch mehr und ab dann volle Punkte. Jetzt hatten wir ein Rennen, das rund 52 Prozent seiner üblichen Distanz ging, aber es wurden trotzdem volle Punkte vergeben. Warum? Weil es das Reglement der FIA so sagt.

Denn die Punkteverteilungen gelten nur, wenn das Rennen nach der jeweiligen Distanz abgebrochen werden muss. Wenn es wieder aufgenommen wird und einfach nur die Zeit ausläuft, gibt es volle Punkte.

Das heißt: Wenn die Unterbrechung noch länger gewesen wäre und wir fünf Minuten vor dem Ende wieder gestartet wären, hätten wir theoretisch effektiv drei Rennrunden sehen können und volle Punkte verteilt. Was für ein Quatsch.

Wer kennt alle Regeln?

Nun habe ich schon Argumente gehört: Die TV-Kommentatoren und wir Journalisten hätten das wissen müssen und ja auch während des Rennens im Reglement nachschauen können.

Nein, auch wenn ich mich seit vielen Jahren beruflich jeden Tag mit der Formel 1 befasse, kenne ich nicht jeden Passus auf den 107 Seiten des Sportlichen Reglements auswendig - und die 177 Seiten des Technischen Reglements schon gar nicht. Und wozu nachschauen, wenn man sich sicher ist?

Nicht einmal die Teams selbst, von denen man meint, dass sie es wissen müssen, kannten die Regel: "Wir waren sicher, dass es nur dann volle Punkte gibt, wenn 75 Prozent des Rennens gefahren wurden", sagt Red-Bull-Teamchef Christian Horner und nennt die Regel einen "Fehler".

 

Selbst Red Bull war also überrascht vom Titel Verstappens. Wie auch der Titelträger selbst, der nach der ersten Gratulation noch zurückrudern musste: "No, not champion", verkündete er im Warteraum vor dem Podest. Schade, das hat wirklich jede Emotion herausgenommen.

Und wenn die Formel 1 nach dem Rennen ein Video posten muss, auf dem erklärt wird, wieso Verstappen jetzt Weltmeister geworden ist, dann stimmt irgendetwas nicht.

Alle sind verwirrt: Wann ist denn Schluss?

Dass es jetzt am Sonntag so gekommen ist, dafür kann die Formel 1 nichts. Sie hat nach den FIA-Regeln gehandelt und somit alles richtig gemacht. Doch die Regeln sind einfach teilweise Murks.

Anderes Beispiel: Auch das Rennende sorgte für Verwirrung. Wann war denn eigentlich Schluss? Verstappen fuhr als Sieger über die Ziellinie, doch bei Red Bull war man sicher, dass es noch eine weitere Runde geben würde. "Letzte Runde", gab man ihm Bescheid, als er längst im Ziel war. Auch Verstappen gab weiter Gas und nahm erst im zweiten Sektor Tempo raus.

 

Wieder hat die Formel 1 nach ihrem Reglement richtig gehandelt, dass nicht wie oft üblich noch eine Runde nach Ablauf der Zeit gefahren wurde. Doch welcher Fan kann denn nachvollziehen, dass bei einem Ablauf der zwei Stunden Rennzeit noch eine weitere Runde folgt, nach Ablauf des Drei-Stunden-Fensters - wie in Suzuka - aber nicht?

McLaren-Teamchef Andreas Seidl nahm sich nach dem Rennen selbst in die Pflicht. Man habe ganz einfach ein paar Schlupflöcher übersehen, die nicht beabsichtigt waren. "Dafür sind wir alle verantwortlich", sagt er.

Wo ist die Flexibilität?

Die Schlupflöcher werden im Winter sicher geschlossen werden, doch bei der Gelegenheit kann man gleich noch ein bisschen an anderen Stellen schrauben. Denn in den vergangenen Wochen hat sich häufiger gezeigt, dass die Formel 1 für die heutige Zeit viel zu unflexibel ist und viel zu starre Prozeduren hat.

In Singapur mussten die Fans nach dem verschobenen Start über eine Stunde warten, bis es wirklich losgeht. Denn obwohl schon gut eine halbe Stunde nach dem geplanten Start fahrbare Bedingungen herrschten, legte die Formel 1 erst spät mit ihrer Startprozedur los. Und die will natürlich voll eingehalten werden. Und der Fan wartet und wartet, obwohl die Autos längst fahren könnten.

Max Verstappen, Red Bull Racing RB18, battles with Charles Leclerc, Ferrari F1-75, ahead of Carlos Sainz, Ferrari F1-75, Esteban Ocon, Alpine A522, Lewis Hamilton, Mercedes W13, the rest of the field at the start

Max Verstappen, Red Bull Racing RB18, battles with Charles Leclerc, Ferrari F1-75, ahead of Carlos Sainz, Ferrari F1-75, Esteban Ocon, Alpine A522, Lewis Hamilton, Mercedes W13, the rest of the field at the start

Foto: Steve Etherington / Motorsport Images

Am Ende fuhren alle Piloten bereits mit Intermediates los. Das wäre also deutlich schneller gegangen. Aber am Ende des Drei-Stunden-Fensters pünktlich auf Schluss ohne Extrarunde beharren. Könnte ja zu spät werden. Na ja.

Und auch in Japan gab es ein ähnliches Beispiel: Pirelli hatte für das zweite Training einen Reifentest angesetzt und die Formel 1 das Training dafür auf 90 Minuten verlängert. Der Test fiel aufgrund des Regens aus, die Länge wurde aber beibehalten. Warum? Mehr Fahrbetrieb gab es deswegen nicht - nur längere Pausen.

Um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Das war auf jeden Fall nicht die Titelentscheidung, die sich die Formel 1 in Japan gewünscht hätte. Aber das Problem ist hausgemacht gewesen.

Das ungewollte Deja vu

Eigentlich wäre die Kolumne an dieser Stelle zu Ende, doch wie FT2 in Japan gehen auch wir diesmal in die Verlängerung. Denn die Rennleitung kann nach dem Sonntag auch nicht gut geschlafen haben.

Nach dem Vorfall 2014 ein Bergungsfahrzeug auf nasser Strecke in Suzuka? Wirklich? Das hätte mächtig in die Hose gehen können. Denn Carlos Sainz hat gezeigt, wie schnell ein Abflug an der Stelle passieren kann. Und Mick Schumacher hatte am Freitag auf einer Runde in die Box Aquaplaning bekommen - da war das Training eigentlich schon zu Ende.

"Wenn ich ihn getroffen hätte, dann wäre ich jetzt tot", sagt Pierre Gasly nach dem Rennen ganz plakativ. Gasly, ein Landsmann von Jules Bianchi und einer seiner besten Freunde in der Motorsportwelt. Irgendwie Ironie, dass es ausgerechnet ihn in dieser Szene getroffen hat.

 

Die Schuldfrage kann ich aktuell zu diesem Zeitpunkt nicht beantworten. Ist das Bergungsfahrzeug ohne Anweisung auf die Strecke gefahren? Das darf nicht sein und muss Konsequenzen nach sich ziehen. Hatte das Bergefahrzeug die Erlaubnis der Rennleiter? Auch dann muss man das untersuchen.

Natürlich bleibt es nicht aus, dass ein Bergungskran nach einem Unfall auf die Strecke muss, um das Auto wegzuschaffen. Man kann ja nicht bei jedem Unfall die rote Flagge herausholen.

In Suzuka waren auch die anderen Piloten am Kran vorbeigefahren, und zwar hinter dem Safety-Car. Das ist auch in Ordnung. Allerdings hätte das Fahrzeug zwingend warten müssen, bis Gasly die Stelle auch passiert hat. Der Franzose war zuvor an der Box und war dem Feld hinterhergefahren und wollte aufschließen.

Geschwindigkeit spielt keine Rolle

Dass er dabei zu schnell war und eine Strafe kassierte, ist für mich dabei unerheblich. "Ich habe langsam gemacht, aber nicht genug, und nehme die Schuld auf mich", schreibt der Franzose nach dem Rennen auf Twitter.

Aber: Die Strafe wurde für einen späteren Abschnitt gegeben, als schon die rote Flagge draußen war. Als Gasly auf die Traktor-Stelle zufuhr, hielt er sich nach eigener Aussage an die Deltazeit für das Safety-Car. Erst kurz vor der Stelle wurde Rot gezeigt - zu spät, um zu reagieren.

Traktor auf der Strecke beim Japan-GP: Gasly platzt der Kragen!

Traktor auf der Strecke beim Japan-GP: Gasly platzt der Kragen!

Foto: motosport.com

Dabei geht es übrigens nicht nur um Gasly. Fanvideos aus anderen Perspektiven haben gezeigt, wie nah Gasly bei schlechter Sicht am Bergungsfahrzeug vorbeigefahren ist. Das ist natürlich auch eine Gefahr für die Streckenarbeiter, die das Auto von Sainz bergen - und die sind noch weniger geschützt als der Formel-1-Fahrer im Auto.

Wenn Gasly eine Pfütze erwischt hätte, hätte es ziemlich übel ausgehen können. Alle Beteiligten sind zwingend in der Pflicht sich zu hinterfragen und sicherzustellen, dass wir nicht noch einen zweiten Bianchi-Fall haben.

Ich bin jedenfalls froh, dass alle heil durch den Sonntag gekommen sind, und möchte Max Verstappen recht herzlich zum WM-Titel gratulieren, auch wenn er sich sicher andere Umstände gewünscht hätte.

Euer

Norman Fischer

PS: Normalerweise erscheint die Kolumne auf unserer Schwesterseite Motorsport-Total.com. Doch weil es bei uns Tradition ist, dass der neue Weltmeister dort am besten schläft, sind die Rollen diesmal vertauscht. Mein Kollege Stefan Ehlen hat sich mit dem alten und neuen Weltmeister auseinandergesetzt. Das könnt ihr hier lesen!

Ihr denkt ähnlich oder ganz anders? Dann teilt mir das gerne mit. Folgt mir auf Twitter und Facebook, wo ich diese Kolumne und andere Themen gerne mit euch diskutiere.

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