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WEC-Kolumne: Die Lehren aus dem Hypercar-Chaos

Prototypen, GT-Prototypen, GTE Plus: Die Hypercar-Regeldebatte zeigt das ganze Ausmaß von zu viel Herstellerbeteiligung im Regelprozess, findet Heiko Stritzke

Liebe Freunde der Hypercars,

lange Zeit hat es keine Kolumne im Langstreckensport mehr gegeben, was einen ziemlich simplen Grund hat. Denn für das, was momentan in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) hinter den Kulissen abläuft, fehlen einem fast die Worte.

Wir reden hier von einer FIA-Weltmeisterschaft, der zweithöchsten Rundstreckenkategorie nach der Formel 1, doch die jetzige Situation erinnert an eine Schülerbande, die sich auf dem Schulhof nicht auf die Rahmenbedingungen fürs Bolzen einigen kann.

Wohl wissend, dass es jetzt eigentlich schon viel zu spät ist, versuchen die Hersteller am Runden Tisch noch immer, das Reglement in ihre Richtung zu ziehen. Der ACO sieht tatenlos zu, verzweifelt, überhaupt noch irgendwie Hersteller für seine Serie zu gewinnen. Nicht in der Lage, den Flächenbrand nach dem LMP1-Exodus unter Kontrolle zu kriegen.

Meine Formel-1-Kollegen schlagen sich derweil ebenso regelmäßig mit Nicht-News zum dortigen Konzept für 2021 herum. Man muss sich die Frage stellen: Ist man im Motorsport plötzlich nicht mehr fähig, ein Reglement zu erstellen? Die Antwort ist sehr ernüchternd: Der Sport an sich steckt in einer Sackgasse. Einer, aus der man kaum noch rauskommen kann.

Fahrer fragen besorgt: Was ist die Zukunft dieser Serie?

Nüchterne Faktenlage: Aktuell gibt es weder ein festes Reglement noch feste Zusagen größerer Hersteller für die WEC-Saison 2020/21. Lediglich Glickenhaus und ByKolles sind fix - sofern sie in der Zeit überhaupt noch ein Auto hinbekommen.

Und mit jeder Woche, die verstreicht, wird es unwahrscheinlicher, dass überhaupt noch jemand zusagt, zusagen kann. Von den großen Herstellern redet niemand mehr von 2020/21, es ist einfach nicht zu schaffen. Aber selbst 2021/22 wird irgendwann knapp. Zum Vergleich: Porsche begann 2011 mit den Vorbereitungen für den Einstieg 2014.

Mittlerweile bekommen sogar die Fahrer Sorgen. Mein Kollege Jamie Klein traf am Wochenende in Spa auf einen völlig desillusionierten Andre Lotterer: "Ich weiß überhaupt nicht, was die Zukunft dieser Meisterschaft ist. Sie verkünden überhaupt nichts. Ich liebe Le Mans und das Rennen hier in Spa, aber momentan weiß ich gar nichts." Er selbst hat wenigstens mit seinem Formel-E-Engagement seine Schäfchen im Trockenen.

Hypercar, McLaren, Studie

McLaren möchte Prototypen gänzlich eliminieren

Foto: WEC

Man möchte momentan nicht in der Haut von Pierre Fillon (ACO-Präsident), Gerard Neveu (WEC-Chef) oder Vincent Beaumesnil (ACO-Sportleiter) stecken. So weltfremd kann man nicht sein, nicht zu realisieren, dass der Boden gerade unter Füßen wegbricht. Die drei Herren sprachen in Spa übrigens kein einziges Wort zum Thema Hypercars zu Presse. PR-Schule des 20. Jahrhunderts. Nur Totschweigen löst kein Problem. Und Standardfloskeln schon gar nicht.

Fertiges Reglement über den Haufen geworfen

Der ACO hatte im Winter ein festes Reglement präsentiert, aber keiner hat zugesagt. Es sollten Sportprototypen werden, mit fest vorgegebenen Parametern für Gewichtsverteilung, Leitungsfähigkeit und Aerodynamik. Einsetzbar für einen Bruchteil der Kosten eines jetzigen LMP1-Hybriden, mit neuester Sicherheitstechnik ausgestattet.

Stattdessen machte ein Kreis von Herstellern in der Arbeitsgruppe Druck, auch straßenbasierte Fahrzeuge zuzulassen. Mangels fester Zusagen beugte sich der ACO und ließ kurzerhand beides zu - um die Equivalence of Technologies kämen wir Stand jetzt also auch in der Zukunft nicht herum. Und wie schwer es ist, unterschiedliche Konzepte anzugleichen, erleben wir in dieser Saison in Dauerschleife.

Doch nun werfen einzelne Hersteller in der Arbeitsgruppe plötzlich alles wieder über den Haufen: McLaren wirbt auf einmal dafür, nur noch straßenbasierte Hypercars zuzulassen und die Prototypen ganz zu eliminieren. Und nach dem Ford-Vorstoß, den GT als Basis für ein Hypercar zu nutzen, liegt plötzlich 'Sportscar 365' zufolge das GTE-Plus-Konzept wieder auf dem Tisch. Womit man wieder völlig bei null anfangen würde.

Andy Priaulx, Harry Tincknell

Ford packt plötzlich das längst begrabene GTE-Plus-Konzept wieder aus

Foto: LAT

Kurzum: Von einer Einigung ist weiter entfernt als vor sechs Monaten, und das weniger als 15 Monate, bevor die Autos zum Prolog 2020/21 ausrücken müssen. Und keiner scheint diesem Chaos Herr werden zu können. Die Frage ist nur: Wer hat Schuld an der ganzen Misere?

ACO zu schwach? Oder Hersteller zu stark?

Es wäre ein Leichtes, dem ACO den Schwarzen Peter zuzuschieben. Führungsschwäche, zu viel Verbiegen für Hersteller, man hätte es doch wissen müssen. Es wäre auch deshalb einfach, weil der ACO in der Vergangenheit schon schwere Fehler begangen hat (lesen sie dazu die Kolumnen meines Ex-Kollegen Roman Wittemeier).

Doch es würde zu kurz greifen, Fillon und Neveu allein durch den Kakao zu ziehen, denn das Grundproblem ist komplexerer Natur. Die Hersteller haben ihre Macht in diesem Sport mittlerweile so weit ausgebaut, dass sie sich ihr Reglement selbst zusammenschustern können. Peugeot trieb es 2017 auf die Spitze, als der ACO seinen Landsleuten ein Reglement direkt auf den Leib schneiderte und man letztlich doch lächelnd absagte.

‘¿’Man fragt sich, wie es so weit kommen konnte. Noch in den 80er-Jahren diktierte eine Regelbehörde - in der Regel die FIA - die Regularien und die Hersteller nahmen unter diese Voraussetzungen teil. In den 1990er-Jahren scheiterten dann mehrere Rennserien (DTM/ITC und FIA GT sind hier die prominentesten Beispiele) an zu hohen Kosten. Die Regelhüter mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, bei ihrem diktatorischen Stil nicht auf die Warnungen der Hersteller gehört zu haben.

Im 21. Jahrhundert sitzen die Hersteller mit am Tisch. Doch was einmal als Beraterrolle gedacht war, hat mittlerweile informellen Regelgebungscharakter. Die Hersteller sind sich erst in jüngerer Zeit ihrer Macht bewusst geworden. Sie können sich die Rennserien mittlerweile aussuchen wie eine attraktive Frau ihren Dating-Partner in einer Singlebörse. Und den Regelbehörden bleibt nichts anderes übrig, als sich zu fügen.

Toyota Gazoo Super Sport Concept

Toyota ist beim Thema Hypercars seit einiger Zeit auffällig still

Foto: Toyota

Das Publikum trägt mit Schuld

Doch warum ist das so? Der Hund liegt letztlich bei uns allen begraben. Das Publikum will Prestige sehen und Marken, mit denen man sich identifizieren kann. Eine Ausnahme mag Großbritannien bilden, wo selbst Clubsport-Rennen oftmals ausverkauft sind. Eine leider einmalige Motorsportkultur, die sich nicht auf andere Länder übertragen lässt.

Sehen wir die Fakten: Bis auf ein paar wenige Enthusiasten würde sich kaum jemand für einen Kampf SMP Racing vs. ByKolles um den WM-Titel begeistern können. Das Gros des Publikums will Marken mit Glamour sehen - Audi vs. Porsche, Ferrari vs. Lamborghini, Mercedes vs. BMW. Niemand außerhalb eines äußerst begrenzten "Freak"-Kreises wird etwas damit anfangen können, wenn ein Rebellion-Gibson die 24 Stunden von Le Mans gewinnt.

Diese Trumpfkarte wissen die Hersteller erst seit jüngerer Zeit auszuspielen. Immer mehr Demokratie in den Regelgebungsprozessen wurde erst gefeiert, weil endlich Experten am Werk saßen. Leider Experten mit extrem ausgeprägten Partikularinteressen, wie sich nun zeigt. Und das betrifft nicht nur die WEC.

Wie schnell die Hersteller dem Sport ihre Liebe entziehen können, wenn er nicht nach ihrer Pfeife tanzt, musste jüngst die Rallycross-WM (WRX) am eigenen Leib erfahren. Binnen zwei Jahren wurde das "Next Big Thing" im Motorsport zum Sorgenkind. Die Verhandlungsposition der Hersteller ist stark wie nie, mit dem schlichten Argument der bloßen Teilnahme an einer Rennserie.

Ford, McLaren und Ferrari kann es egal sein, ob eine WEC 2020/21 zustande kommt oder nicht. Wenn nicht, starten sie halt nicht. Für den ACO geht es hingegen mittlerweile um das Überleben seiner Vorzeigerennserie.

Kann man die Werke nur noch mit Elektro kontrollieren?

Und die Zukunft sieht nicht gerade rosig aus, denn die Automobilbranche wurde aus einer heilen Welt gerissen. Der PKW wird in den Medien plötzlich verteufelt, ein wahrer Kreuzzug gegen das Auto ist entbrannt, mit der totalen Elektromobilität als einfacher Lösung (und einfache Lösungen sorgen meist für mehr Probleme, siehe Brexit und Co.).

Pierre Fillon

Die ACO-Führung scheint nicht in der Lage, die Kontrolle zurückzugewinnen

Foto: DPPI

Obwohl jeder Experte bestätigen wird, dass der Verbrennungsmotor noch lange nicht ausgedient hat, wird sich zeigen müssen, wie lange die Konzerne noch im Motorsport eine Technologie bewerben wollen, die in den Medien als Dinosaurier verteufelt wird - selbst wenn wir einen sauberen Brennstoff finden sollten.

Freuen kann sich nur Elektro-Motorsport, denn hier sind die Hersteller plötzlich bereit, jeden Preis zu zahlen, um sich irgendwie in der Öffentlichkeit sauber darstellen zu können. Doch für den konventionellen Motorsport wird es immer schwieriger werden, so weiterzumachen wie bisher, wenn die Hersteller dem Elektro-Hype zu Marketingzwecken hinterherlaufen.

Nun haben wir verunsicherte Hersteller mit einer nie da gewesenen Machtfülle, die versuchen, ein Reglement für eine Rennserie zu erstellen, von der sie selbst nicht wissen, ob sie dort eigentlich fahren wollen. Das Problem: Die Macht werden sie sich nicht mehr nehmen lassen, sofern man nicht mit verbrennerfreien Technologie lockt.

Dennoch wäre der ACO gut beraten, schnell ein Machtwort zu sprechen und Nägel mit Köpfen zu machen. Denn es ist bereits zu spät. Und ein Reglement, das es nicht allen recht macht, ist immer noch besser, als gar kein Reglement. Momentan hat man die Wahl zwischen einer unsicheren Zukunft der Topkategorie einer sonst recht gesunden Meisterschaft und gar keiner Zukunft.

Zeit, dass jemand sagt: "Schluss mit dem Zirkus!" Denn anders kann man es nicht mehr beschreiben.

Euer

Heiko Stritzke

Mit Bildmaterial von FIA WEC.

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